Plenarveranstaltungen
Mittwoch, 08.10.2014
Plenum II - Disruptiver sozialer Wandel
Viele Soziologinnen und Soziologen scheinen sich daran gewöhnt zu haben, sozialen Wandel als langsame und bisweilen sogar in ihrer Gemächlichkeit kaum mehr wahrnehmbare Veränderung zu sehen, die geradezu erwartbar geworden und damit vergleichsweise leicht in Alltagsroutinen einzubauen ist. Rapide, sich beschleunigende oder gar plötzliche, Erwartungshorizonte und Routinen »sprengende« (Fundamental?)Transformationen und (Struktur?)Brüche, exponentiale Dynamiken entlang nicht-linearer Verlaufsbahnen, Katastrophen und Revolutionen werden dagegen seltener thematisiert oder an benachbarte Disziplinen (wie die Wirtschafts-, die Geschichts- oder die Politikwissenschaften) delegiert: Im Rahmen der gängigen soziologischen Wissenschafts- und Karriereroutinen scheint eine Beschäftigung mit Fällen und Formen krassen sozialen Wandels (Lars Clausen), mit unklaren Verhältnissen und offenen Situationen meist zu riskant.
Demgegenüber ist die jüngere Gesellschaftsgeschichte geradezu geprägt von rasanten, radikalen und unvorhersehbaren Veränderungen: Sei es die sich von einer Technikgeneration zur nächsten beschleunigende, zugleich jedoch immer schneller an Sättigungsgrenzen stoßende Ausbreitung technischer Innovationen und neuer Produkte; sei es die ? auch dadurch mitgeformte ? (Ausbreitungs?)Geschwindigkeit ökonomischer wie ökologischer Risiken und Bedrohungen; oder seien es die manchmal überraschend schnellen und erstaunlich tiefgreifenden politischen Reaktionen darauf (z.B. »Energiewende« in Deutschland).
Offen ist dabei, ob die Soziologie für die Analyse solcher Geschehnisse auf ihr bisheriges theoretisches Instrumentarium zurückgreifen kann, oder ob man ihr einen eingebauten Hang zum »theoretischen Gradualismus« vorhalten muss, der disruptiven sozialen Wandel nicht oder nur verfälschend einzufangen vermag. Gefordert sind daher theoretisch fundierte und möglichst empirisch gesättigte Auseinandersetzungen mit rapiden und/oder radikalen Veränderungen, die das Risiko eines »Neudenkens« sozialen Wandels in modernen Gesellschaften nicht scheuen.
Beiträge | Synchronisation statt Disruption? Eine gesellschaftstheoretische Folgenabschätzung kollaborativer Transformationsforschung |
Tanja Bogusz (Berlin), Martin Reinhart (Berlin) | |
Stabilisierende Dynamik. Zur Paradoxie der modernen Gesellschaft | |
Uwe Krähnke (Leipzig) | |
Wandel in der selbstorganisiert-kritikalen Weltrisikogesellschaft. Das Beispiel des transnationalen Terrorismus | |
Thomas Kron (Aachen) | |
Die Ordnung der Dramatisierung ? disruptiver sozialer Wandel im Licht soziologischer Zeitdiagnostik | |
Oliver Dimbath (Augsburg) | |
Organisation | Martina Löw (Berlin), Hartmut Rosa (Jena) |
Raum | HS 5 |
Uhrzeit | 9.00 - 12.00 |
Plenum V - Die Eurokrise: Herausforderung der Moderne
Die gemeinsame Europäische Währung stellt den bisher tiefsten Eingriff in die nationale Souveränität und individuellen Lebensverhältnisse der Euromitglieder und darüber hinaus dar. Sie setzt Politik unter einen davor nicht gekannten Zugzwang. Krise und Kriseninterpretationen im Euroraum sprechen dafür, dass es sich tatsächlich um eine Entscheidungssituation handelt. Setzt sich in der Eurokrise die Moderne über den Nationalstaat hinaus durch? Oder droht der Verlust einer ihrer zentralen Gehalte: die Idee gesellschaftlicher Selbstgestaltung? Einerseits hat die Eurokrise das Demokratiedefizit der EU offensichtlich gemacht, und die Dominanz der nationalstaatlichen Exekutiven im Eurokrisenmanagement hat es noch verstärkt, andererseits bewirkt die Krise einen Schub konflikthafter europäischer Gesellschaftsbildung.
Beiträge | Zum Einfluss transnationaler Netzwerkeinbindung europäischer Bürger auf Einstellungen zur Finanzhilfe in zwei europäischen Ländern |
Julia Häuberer (Hamburg) | |
Eurokrisen als Entdeckungsverfahren. Die Politisierung europäischer Vergesellschaftungsprozesse | |
Martin Heidenreich (Oldenburg) | |
Geldvertrauen ? Geldmisstrauen ? Geldfatalismus. Anmerkungen zur Eurokrise | |
Klaus Kraemer (Graz) | |
Podiumsdiskussion | Gast: Fritz W. Scharpf (MPIfG Köln) |
Organisation | Andrea Maurer (Trier), Maurizio Bach (Passau) |
Raum | HS 3 |
Uhrzeit | 9.00 - 12.00 |
Plenum VIII - Krisenfeste Individuen? Zur Relevanz und Kritik normativer Subjektperspektiven
Individuelle Autonomie und Handlungsfähigkeit gelten in der Soziologie als positive Bezugspunkte für gelungene Biographien. Krisen werden vor diesem Hintergrund mit Blick auf den Verlust dieser Fähigkeiten thematisiert, der seinerseits zumeist auf strukturelle (z.B. institutionelle) Restriktionen zurückgeführt wird. Nun ließe sich jedoch angesichts der jüngeren Prekarisierungs- und Prekaritätsdiagnosen wie den sich anschließenden theoretischen und empirischen Debatten fragen, ob das Leitmotiv größtmöglicher individueller Autonomie normativ, empirisch und heuristisch überhaupt trägt. Wäre nicht z.B. die Figur des »post-souveränen Subjekts« (Judith Butler) plausibler, um die aktuellen Dynamiken im Verhältnis zwischen der subjektiven und der Ebene der sozialen Strukturen zu untersuchen? Läuft aber andererseits diese Vorstellung nicht Gefahr, empirische Ungleichheitsverhältnisse zu entproblematisieren oder gar zu romantisieren?
Eine kritische Revision der normativen Subjektvorstellungen der Soziologie, wie sie das Plenum zu leisten sucht, ermöglicht eine Diskussion darüber, was als ?biographische Krise? gilt und wie diese begrifflich gefasst werden kann ? und auch darüber, wie sich die soziologische Forschung zu den gesellschaftlichen Krisendiskursen und den entsprechenden sozialtechnologischen Therapien (Stichwort Resilienz z.B.) verhält.
Beiträge | Krise der Mitmenschlichkeit oder: Wie selbst-bewusst muss "Meinesgleichen" sein? |
Ronald Hitzler (Dortmund) | |
Postheroisches Individuum ? überfordertes Individuum. Konzeptionelle Anmerkungen | |
Anna Henkel (Oldenburg) | |
Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist... Milieuspezifische Subjektkonstruktionen und die Bewältigung erwerbsbiographischer Krisen | |
Kornelia Koppetsch (Darmstadt), Sarah Speck (Darmstadt) | |
Risikoäquivalenz und begrenzte Autonomiegewinne. Zur Wirksamkeit normativer Assistenzstrukturen | |
Stefan Selke (Furtwangen) | |
Organisation | Elisabeth Tuider (Kassel), Ulrich Bröckling (Freiburg) |
Raum | HS 6 |
Uhrzeit | 9.00 - 12.00 |